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Das Wunder Bienenstock
Aus "Doktor Biene" von Paul Uccusic


Erheblich weniger Bienen haben überwintert, als im Sommer - zur Zeit der besten Tracht (Honigernte) - Individuen im Bienenstock sind: ein guter Durchschnitt sind 10000 Tiere. Melden die ersten Kundschafterinnen des Stockes, die Spurbienen, dass es lohnt, auszufliegen und zu sammeln, beginnt die Königin mit der Legetätigkeit.
Das ist das erste Wunder des Bienenstocks. Innerhalb kürzester Zeit und unter kräftiger Fütterung durch die Arbeiterinnen legt die Königin in eigens vorbereitete und geputzte Zellen Ei um Ei - zwischen 1000 und 3000 täglich. Es besteht keinerlei Zweifel, dass die Königin nicht von sich aus zu solchen Rekordleistungen neigt, sondern von den Arbeiterinnen dazu angeregt wird. Eine einzelne ist dazu freilich nicht imstande, es bedarf des Zusammenwirkens des ganzen Volkes, dass das Volk sich vermehre.

Man weiß zwar, dass bestimmte Duftstoffe, die Pheromone, bei dieser Steuerung eine Rolle spielen; man weiß, dass mit Hilfe dieser in unvorstellbar geringen Konzentrationen im Bienenstock vorkommenden Substanzen die Wachstumsvorgänge beeinflusst werden, aber wie das im Detail vor sich geht, hat noch niemand herausgefunden.
Das nächste Wunder ist die Form der Bienenwabe: das Sechseck. Niemand weiß, wer die Biene dieses gelehrt hat. Auch mit minimalen Kenntnissen in Geometrie lässt sich einsehen, dass das Sechseck eine schlechthin optimale Form ist. Betrachtet man verschiedene geometrische Figuren, zum Beispiel Kreis, Dreieck, Quadrat, so ist festzustellen, dass bei gleichem Flächeninhalt Kreis und Sechseck den geringsten Umfang haben. Dichteste Kugelpackung, das heißt Aufeinanderlegen von Röhren mit kreisförmigem Querschnitt, lässt jedoch zwischen den Elementen Raum. Das wäre Materialvergeudung. Mithin: Die am meisten Material sparende Form bei gleichzeitig größtem Rauminhalt ist das (gleichseitige) Sechseck, wenn es - eben im Bienenwabenform gebaut wird.
Als einziges Insekt außer der Biene baut nur noch die Wespe Sechseckzellen, aber nur für die Brut und ausschließlich aus Papier. Schon die nächste Verwandte der Biene, die Hummel, baut runde Zellen.

Auf ihrem Hochzeitsflug, der immer außerhalb des Stockes stattfindet, hat die Königin von einer oder mehreren Drohnen Samen mitbekommen. Den speichert sie zeit ihres Lebens (Lebenserwartung einer Königin vier bis fünf Jahre) in ihrer Samenblase. Durch einen bewundernswert konstruierten Mechanismus öffnet sich der Samenkanal jedesmal nur dann, wenn ein Ei vorbei gleitet, und gibt einige Samenzellen frei. Aus den solcherart befruchteten Eiern werden Weibchen: entweder verkümmerte, die Arbeiterinnen genannt werden, oder sich zur vollen Geschlechtsreife entwickelnde: die Königinnen. Schließlich - und das ist schon wieder ein Wunder - werden auch aus unbefruchteten Eiern Bienen: männliche, die Drohnen. Das ist ungeschlechtliche Vermehrung oder Jungfernzeugung (Parthenogenese). Die Harmonie dreier Geschlechter, eines voll geschlechtsreifen Weibchens, Zehntausender verkümmerte Weibchen (Arbeiterinnen) und mehrere hundert Männchen (Drohnen), macht also das Wesen des Bienenstaates aus. Die Aufgaben sind streng geteilt: Die Königin legt Eier - sie kann gar nichts anderes. Sie ist, wie die Drohnen unfähig sich allein zu ernähren. Würde sie nicht von den Arbeiterinnen gefüttert, ginge sie unweigerlich zugrunde. Auch die Drohnen leben von den Arbeitsbienen. Weshalb sie in der relativ großen Zahl von 300 bis 800 pro Volk auftreten, ist ebenfalls ein Rätsel. Gebraucht wird pro Königin höchstens ein Dutzend für den Hochzeitsflug. Haben die Drohnen die Begattung vollzogen, sterben sie innerhalb von Minuten. Die Phantasie vieler Dichter hat sich an dem unschönen Schauspiel der "Drohnenschlacht" entzündet: Da sie ab etwa August nicht mehr gebraucht werden und im Winter dem Volk äußerst hinderlich wären, werden die Drohnen im Spätsommer beseitigt: die Arbeitsbienen lassen sie einfach verhungern, indem sie ihnen kein Futter mehr geben. Die "Drohnenschlacht" ist also weniger dramatisch als so oft beschrieben. Hofrat Theodor Jachimowicz, jahrzehntelang Österreichs oberster "Bienenvater": "Die halbverhungerten Drohnen werden einfach aus dem Stock gedrängt und gehen zugrunde."

Der Bienenstaat (einige Ameisen- und Termitenarten ausgenommen) ist der einzige Insektenstaat, der überwintert, damit kontinuierlich ist und "ewig" Bestand hat. Wespen- oder Hummelstaaten dauern jeweils nur einen Sommer lang; nur einige befruchtete Weibchen überwintern. Diese Trägerinnen des Erbguts bauen im Frühling eine Kolonie auf, aus der sich dann der Insektenstaat entwickelt, der mit den ersten Herbstfrösten zugrunde geht. Wer bereit ist, über den leiblichen Tod des Individuums hinauszublicken, wird fasziniert sein von dieser Jahrmillionen überdauernden Staatsidee: "Doch unsterblich bleibt ihr Geschlecht, und Jahr über Jahre dauert des Hauses Bestand, und gezählt werden Ahnen auf Ahnen." (Vergil)

Hinter jeder Bienenkönigin steht die tragende Kraft des Volkes. Und Arbeitsbienen sorgen sehr schnell für Perfektion, wenn sie bemerken, dass die Eierlegeleistung der Königin nachlässt - dann kommen eben neue Königinnen, hinter denen sie herschwärmen. Nochmals: Obwohl sie Königin heißt, ist das einzige Eier legende Weibchen des Volkes doch nichts anderes als das Werkzeug seiner Untertanen.

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